Infraschall bei Windrädern

Bericht der Stuttgarter Zeitung, 23.06.2015

Stuttgart – Bertam Feuerbacher und Michael Haueis, die Sprecher der Anti­windkraft-Initiative „Pro Schurwald“ aus dem Kreis Esslingen, formulieren es so: „Infraschall steht im Verdacht, schwere gesundheitliche Schäden, wie Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Tinnitus oder Depressionen auszulösen.“ Und auf den Webseiten aller Initiativen, zum Beispiel der Stuttgarter Initiative „Rettet den Tauschwald“, wird auf eine Sammlung von 30 Studien verwiesen, die die Risiken von Infraschall belegen sollen. Unter www.windwahn.de sind diese Studien einzusehen.
Infraschall – das ist das derzeitige Top-Argument gegen den Ausbau der Windkraft. Aber was versteht man überhaupt darunter? Es handelt sich dabei um Töne mit Frequenzen zwischen null und 20 Hertz – der Mensch vermag diese Geräusche nicht mehr zu hören, so wie er auch Frequenzen über 20 000 Hertz (Ultraschall) nicht wahrnimmt. Infraschall ist auch kein Thema ausschließlich von Windrädern, wenngleich es derzeit fast nur in diesem Zusammenhang diskutiert wird. Vielmehr entsteht Infraschall überall, wo Geräusche sind, also auch im Autoverkehr oder am Strand durch die Meeresbrandung.
Autoverkehr erzeugt ähnlich starken Infraschall. Und das ist vielleicht eine der wenigen gesicherten Erkenntnisse zu Infraschall: Die Pegel des Infraschalls von Windrädern sind nicht signifikant höher als die Pegel aus anderen Quellen – teils im Gegenteil. Dies betont auch Martin Hoffmann von der  Landesanstalt für Umwelt, Messun­gen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW), die gerade mitten in einem Messprojekt zu tieffrequenten Geräuschen und Infraschall steht und vor Kurzem einen Zwischenbericht veröffentlicht hat. Hoffmann sagt, dass der Infraschall von Windrädern in rund 150 Meter Abstand in der Stärke vergleichbar sei mit demjenigen des Straßenverkehrs, wenn man auf einem Platz im Café oder auf  seinem heimischen Balkon sitzt. Am höchsten seien die Pegel in einem schnell fahrenden Auto. Dann kann man den Infraschall teils sogar als Druck oder Vibration wahrnehmen. Ein wichtiges Ergebnis der LUBW war auch: in 700 Meter Abstand zu einem Windrad wurde der Infraschall im Wesentlichen vom Wind selbst erzeugt und nicht mehr von der Windkraftanlage.
Viele Behörden gehen aufgrund solcher Studien davon aus, dass vom Infraschall keine Gefahr für die Anwohner ausgeht. Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller sagte bei der Vorstellung des Zwischenberichtes der LUBW, dass Infraschall „dem Ausbau der Windkraft nicht entgegensteht“. Ähnlich formulierte es vor Kurzem auch das Bayerische Landesamt für Umwelt. Und das Umweltbundesamt (UBA) ist in einem Papier dezidiert der Ansicht, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht zu erwarten seien. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn in einer neuen Studie des UBA zu Infraschall widerspricht sich die Behörde selbst. Dort heißt es genau umgekehrt, dass „negative Auswirkungen von Infraschall (. . .) nicht ausgeschlossen sind“. Es gebe allerdings keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse, auch „wenn zahlreiche Forschungsbeiträge entsprechende Hypothesen postulieren“.
Genau darin liegt die Krux. Selbst die grundlegende Frage kann die Wissenschaft nämlich bis jetzt nicht beantworten: Kann Lärm, den man gar nicht hört, krank machen? Nachgewiesen ist das nicht. Es gibt aber Denkansätze, wie dies vor sich gehen könnte. So vermuten Erwin Quambusch und Martin Lauffer in einem Aufsatz, den alle Windkraftgegner gerne anführen, dass tieffrequenter Schall und Infraschall das Gehirn zur Resonanz anregen könnte, was Bewusstseinsveränderungen herbeiführen könnte. Das Robert-Koch-Institut schreibt in einer schon 2007 erschienenen Studie, dass Rezeptoren im Körper durch Infraschall Druck, Berührungen, Kitzel und Vibrationen wahrnehmen könnten. Bisher seien solche Symptome aber immer nur subjektiv von Probanden beschrieben worden.
Das Robert-Koch-Institut hat deshalb schon 2007 angeregt, die Forschungen zu intensivieren. Auch die Mediziner, die sich im Mai dieses Jahres zum Bundesärztetag in Frankfurt versammelt hatten, schlugen in diese Kerbe: Da eine „gesundheitliche Unbedenklichkeit derzeit nicht nachgewiesen“ sei, soll die Bundesregierung mehr Forschungsaufträge vergeben.